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Fanden die Ereignisse in Der Herr der Ringe auf einem anderen Planeten statt?
Nein. Tolkiens Absicht war es, daß Mittelerde unsere eigene Welt sein sollte, allerdings formulierte er diese Idee etwas ungewöhnlich: Er sagte, er hätte Ereignisse beschrieben, die in einer imaginären Zeit eines realen Ortes stattgefunden hätten. Er erklärte das nur in den Briefen genau, aber es gibt auch Hinweise im Herren der Ringe, obwohl sie außerhalb der Erzählung stehen.

Im Prolog (S. 18 [I-16]) lesen wir

Jene Tage, das Dritte Zeitalter von Mittelerde, sind nun lange vergangen, und die Gestalt der Länder hat sich verändert; doch die Gegenden, in denen damals Hobbits lebten, waren zweifellos dieselben, in denen sie sich immer noch aufhalten: der Nordwesten der Alten Welt, östlich des Meeres.
Der zweite Hinweis stammt auf dem Anhang D (S. 1123 [Anh.94]), der die Kalendersysteme von Mittelerde bespricht. Die Diskussion beginnt folgendermaßen:
Der Kalender im Auenland unterscheidet sich in verschiedenen Einzelheiten von dem unseren. Das Jahr war zweifellos genauso lang(*), denn wenn jene Zeiten auch, gerechnet nach Jahren und Menschenleben, lange her sind, so sind sie doch für das Gedächtnis der Erde nicht sehr fern.

(*) 365 Tage, 5 Stunden, 48 Minuten, 46 Sekunden.

Dieses Zitat ist für sich selbst klar genug, aber daß die Länge des Jahres in der Fußnote exakt gleich der Länge unseres eigenen Jahres ist, räumt wohl den letzten Zweifel aus.

Es folgen Zitate aus drei Briefen, in denen diese Frage weiter diskutiert wird:

"Mittelerde" ist übrigens nicht der Name für ein Nie-und-Nimmerland ohne Beziehung zu der Welt, in der wir leben (wie Eddisons Merkurien). Es ist einfach eine Verwendung von mittelenglisch middelerde (oder -erthe), verändert aus altenglisch Middangeard: der Name für die bewohnten Lande der Menschen "zwischen den Meeren". Und obwohl ich nicht versucht habe, die Gestalt der Gebirge und der Landmassen dem anzunähern, was Geologen über die nähere Vergangenheit sagen oder vermuten mögen, soll diese "Geschichte" doch der Einbildung nach in einer Periode der tatsächlichen Alten Welt dieses Planeten stattfinden

Briefe, S. 290 (#165), an Houghton Mifflin Co.

Ich bin historisch interessiert. Mittelerde ist keine imaginäre Welt... Schauplatz meiner Erzählung ist diese Erde, dieselbe, auf der nun wir leben, aber die historische Periode ist imaginär. Die Grundzüge dieses Aufenthaltsortes sind alle vorhanden (jedenfalls für die Einwohner von Nordwest-Europa), darum wirkt es naturgemäß vertraut, wenn auch ein wenig verklärt durch den Zauber der zeitlichen Ferne.

Briefe, S. 315 (#183),
über eine Rezension von Die Rückkehr der Königs

... ich hoffe, daß die augenscheinlich lange, aber unbestimmte zeitliche Lücke (*) zwischen dem Fall von Barad-dûr und unseren Tagen ausreicht, eine "literarische Glaubwürdigkeit" zu erreichen, sogar bei Lesern, die mit dem, was man über die "Prähistorie" weiß oder vermutet, vertraut sind.

Ich habe, so scheint mir, eine imaginäre Zeit konstruiert, bin aber, was den Raum betrifft, mit den Füßen auf Mutter Erde geblieben. Das ist mir lieber als die zeitgenössische Mode, ferne Welten im "All" aufzusuchen. So merkwürdig sie auch sein mögen, sie sind mir fremd und können nicht mit der Liebe eines Blutsverwandten geliebt werden. Mittelerde ist ... nicht meine eigene Erfindung. Es ist eine Modernisierung oder Abwandlung ... eines alten Wortes für die von Menschen bewohnte Welt, die oikoumenê: Mittel-, weil man es sich irgendwo zwischen dem Eis des Nordens und dem Feuer des Südens dachte. Viele Rezensenten scheinen anzunehmen, daß Mittelerde ein anderer Planet ist!

Briefe, S. 371 (#211), an Rhona Beare

Die Fußnote im ersten Satz der zuletzt zitierten Stelle bietet eine faszinierende Eröffnung:
Ich stelle mir eine Lücke von etwa 6000 Jahren vor: das heißt, wir sind jetzt am Ende des Fünften Zeitalters, wenn die Zeitalter ungefähr von gleicher Länge wären wie das Zweite und das Dritte. Ich denka aber, sie haben sich beschleunigt, und stelle mir vor, wir sind gegenwärtig am Ende des Sechsten Zeitalters oder im Siebten.

Briefe, S. 371 (#211), an Rhona Beare

Hinweis: In der Deutschen Ausgabe der Briefe steht statt "wie das Zweite und das Dritte" fälschlich "wie das Erste und das Zweite".

Eine abschließende Bemerkung sagt, daß nicht nur der Ort unsere eigene Welt ist, sondern auch die Menschen, die ihn bewohnen, sind wir selbst, in moralischer genauso wie in physischer Hinsicht:
... aber ich habe auch keines von den Völkern auf der "richtigen" Seite, den Hobbits, Rohirrim, den Menschen von Thal oder Gondor, irgend besser gemacht, als Menschen sind, waren oder sein können. Von mir ist nicht eine "imaginäre" Welt, sondern ein imaginärer historischer Moment in Mittelerde - unserer Wohnstätte.

Briefe, S. 321 (#183),
über eine Rezension von Die Rückkehr der Königs

Quellen:
Der Herr der Ringe, Prolog, S. 18 (I-16), Anhang D, S. 1123 (Anh.94); Briefe 287 (#165), 314 (#183), 363 (#211).
Autoren:
WDBL, CFH, Bill Taylor
Übersetzer:
Gernot Katzer

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