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Welche Änderungen wurden an Der kleine Hobbit vorgenommen, nachdem Der Herr der Ringe geschrieben war, und was hatte sie nötig gemacht?
Diese Frage bezieht sich auf einige wichtige Änderungen im Kapitel "Rätsel im Dunkeln", nicht auf die Vielzahl an kleinen Veränderungen in den anderen Kapiteln. Für den deutschsprachigen Leser ist sie allerdings von geringerem Interesse, da die einzige deutsche Übersetzung des Kleinen Hobbit auf der korrigierten Auflage von 19!!! beruht und die ursprüngliche Fassung des Kapitels den meisten deutschsprachigen Lesern damit völlig unbekannt sein dürfte.

In der ursprünglischen Ausgabe des Kleinen Hobbits (erschienen 1937) war Gollum ehrlich bereit, seinen Ring bei dem Rätselspiel zu setzen; die Abmachung war, daß Bilbo ein "Geschenk" erhalten sollte, wenn er gewänne. Tatsächlich war Gollum enttäuscht, als er sein Versprechen nicht halten konnte, weil ihm der Ring abhanden gekommen war. Als Ersatz dafür zeigte er Bilbo einen Weg aus der Höhle, und sie schieden höflich voneinander.

Als Tolkiens Arbeit am Herren der Ringe voranschritt, änderte sich die Natur des Ringes. Er war nun nicht mehr ein "nützliches magisches Hilfmittel", sondern war zu einem unwiderstehlichen Träger von Macht geworden, und Gollums Verhalten erschien nun unerklärlich, ja sogar unmöglich. In den ersten Entwürfen des Kapitels "Der Schatten der Vergangenheit" mußte Gandalf ziemlich unglaubwürdig argumentieren, um in seiner Diskussion mit Frodo diesem die Beweggründe Gollums zu erklären.

Tolkien löste die Schwierigkeit, indem er das Kapitel im Kleinen Hobbit in die heutige Form umschrieb; nun hatte Gollum überhaupt kein Interesse, seinen Ring aufzugeben, sondern schlug Bilbo stattdessen vor, ihm einen Ausgang zu zeigen. Außerdem wurde Gollum moralisch viel verdorbener gezeigt, wie es besser für jemanden paßte, der von dem Einen Ring versklavt war. Zugleich wurde Bilbos Anspruch auf den Ring wesentlich unterhöhlt.

Letzterer Punkt ist nur bei sorgfältiger Betrachtung zu sehen: Es gibt dabei zwei verschiedene Aspekte, die im Prolog zum Herren der Ringe zusammengefaßt sind:

Allerdings gehen die Ansichten der Gelehrten darüber, ob diese letzte Frage nach den strengen Regeln des Spiels bloß eine "Frage" und kein "Rätsel" war, auseinander; aber alle stimmen darin überein, daß Gollum, nachdem er die Frage einmal angenommen hatte und sie zu beantworten versucht hatte, an sein Versprechen gebunden war.

Der Herr der Ringe, Prolog, S. 28 (I-27)

Daher war Bilbos Sieg im Spiel etwas zweifelhaft. Nimmt man aber an, daß er trotzdem gewonnen hatte (wenn auch durch einen Trick), so war er zu dem Preis berechtigt, der in der alten Version der Ring, in der neuen aber nur der Ausgang war. Somit hatte Bilbo kein Recht auf den Ring, da dieser ja nicht als Wettpreis vereinbart worden war.

Nun gab es also zwei Versionen der Geschichte, die sich im Preis für das Rätselspiel unterschieden: Ausgang oder Ring. Tolkien machte diesen Umstand geschickt zu einem Teil der Geschichte, indem er vorschlug, Bilbo hätte gelogen (unter dem Einfluß des Ringes), um seinen Anspruch auf denselben zu stärken. Bilbo hatte diese diese (falsche) Version in sein Tagebuch aufgeschrieben, das dann später von Tolkien "übersetzt" und als Der kleine Hobbit veröffentlicht wurde; der "Fehler" wurde erst später bemerkt und in der korrigierten Ausgabe ausgemerzt. Im Herren der Ringe wird auf diese verwirrende Situation im Prolog ("Vom Ringfund") eingegangen und im späteren Text wird die neue Version vorausgesetzt (z.B. in "Der Schatten der Vergangenheit" oder "Der Rat von Elrond").

Der Kleine Hobbit in der neuen Fassung paßt hervorragend in das neue Szenario, obwohl Tolkien, aus guten literarischen Gründen, Bilbos Unehrlichkeit gänzlich ausläßt (sie wäre eine gänzlich überflüssige Komplikation gewesen). Der Versuch, Bilbos Lügen hier zu betrachten und zu diskutieren, wird dadurch erschwert, daß es tatsächlich zwei verschiedene Unehrlichkeiten Bilbos gegen seine Reisekameraden gab.

Die erste, im Buch explizit dargelegt, war, daß er den Zwergen und Gandalf zuerst vom Ring überhaupt nichts erzählte - Gandalf bezweifelte die Erzählung von Anfang an ("Unter seinen buschigen Augenbrauen jedoch sandte er Bilbo einen seltsamen Blick zu ... und der Hobbit überlegte, ob Gandalf erraten habe, was er wohlweislich ausgelassen hatte.", Der Kleine Hobbit, Kapitel VI). Später (nach der Episode mit den Spinnen) gab er zu, den Ring zu besitzen, und erfand die Geschichte vom "gewonnenen Geschenk", was wohl ziemlich unglaubwürdig war. Diese zweite Unehrlichkeit wird aber im Text nicht enthüllt (wie oben gesagt, wäre das auch ein schwerer literarischer Fehler gewesen).

The first, made explicit, was that when he initially told his story to Gandalf and the Dwarves he left the ring out entirely -- this no doubt was what inspired Gandalf to give Bilbo the "queer look from under his bushy eyebrows" (H, 99). Later, (after the spider episode) he revealed that he had the Ring, and it must have been at this point that he invented the rigamarole about "winning a present" (an incred- ible action, given the circumstances). There is, however, no hint in the text of this second piece of dishonesty (as noted above, it would have been a grave literary mistake). Readers are therefore given no indication that when "Balin ... insisted on having the Gollum story ... told all over again, with the ring in its proper place" (H, 163) that Bilbo didn't respond with the "true" story, exactly as described in Ch V. In this regard, "Of the Finding of the Ring" in the Prologue is a necessary prelude to LotR.

Quellen:
Der Kleine Hobbit, Kapitel V, VI und VIII; The Annotated Hobbit, 104 (chapter VI, note 2), 178 (chapter VIII, note 11), 325-327 (Appendix A mit der Originalversion); Der Herr der Ringe, Prolog (Vom Ringfund), S. 27 (I-27); Biography, 203 (V, 2); The Road to Middle-earth, 59-60 (3, "The Ring as an `Equalizer'"); The Return of the Shadow p. 75, 79-81, 84-87 (First Phase), 261-265 (Second Phase).
Autoren
WDBL, Wayne Hammond Jr.
Übersetzer
Gernot Katzer
Anmerkung:
Seit 1999 gibt es eine deutsche Neuübersetzung mit dem Titel "Der Hobbit".

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